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Eine Woche bei den Shaolin: Tagesablauf, Erlebnisse, Reality Check

Autorenbild: Tanja MäderTanja Mäder

Zahlreiche Räucherstäbchen in einem buddhistischen Tempel
Photo by jly un on Unsplash

Ich kam über die Kampfkunst in den Kampfsport. Genauer gesagt, über Kung Fu.

Ich erinnere mich noch gut an die 80-er, 90-er Jahre Kung Fu Filme. Bruce Lee, Jet Lee, Jackie Chan… Da war immer diese mystische Aura, kombiniert mit den Badass Kampfkunst Tricks, die mich schon früh fasziniert haben.

 

Ich kann mich nicht mehr genau an den Plot der Filme erinnern, oder nur vage. Aber die Shaolin Kultur spielte häufig eine Rolle darin und faszinierte mich auch später. Sie hatte etwas besonderes. Als gäbe es Menschen, die sowas wie übermenschliche Kräfte besitzen und mit ihrem Chi Dinge tun können, die ein normaler Mensch nicht hinkriegt.

 

Dieses Bild habe ich heute nicht mehr.

Denn ich war da. Im Shaolin Kloster.

Es gab Gutes. Es gab Schlechtes.

Aber ich fange von vorne an.

 

 

 

Das erste Mal in China

 

Ich war der totale Kampfkunst Nerd, bevor ich zum totalen Kampfsport Nerd wurde.

Als wir also die Möglichkeit hatten, das Shaolinkloster auf einer Chinareise zu besuchen und da zu trainieren, habe ich also gleich angefangen mein Geld zusammenzukratzen.

 

Die Kung Fu Schule, in welcher ich trainierte, pflegte enge Beziehungen zum Kloster. So konnte ich schon vor der Reise von Trainings mit den Shaolin trainieren. Aber nach China, in die Wiege des Kung Fu zu gehen, das hat schon etwas magisches.

 

China empfand ich bei der Ankunft als andere Welt. Die Menschen, die Gerüche, die Sprache und die Menschenmassen. Der Bus brachte uns ziemlich direkt ins Shaolin Kloster. Das Wetter war warm und schwül und ich war sehr gespannt, was im Kloster auf uns zukommen wird.

 

Im Kloster angekommen, bezogen wir unser kleines, nicht unbedingt charmantes (für Schweizer Standards) Zimmer, aber es war sauber und mitten auf dem Klosterareal. Ich erinnere mich an das erste Aufwachen: Schon Morgens um 5 Uhr hörte ich die ersten Schüler*innen draussen vorbeijoggen. Die meisten waren asiatische Kids oder Jugendliche. Alle trugen die typischen Kung Fu Hosen und Feiyue Schuhe.

 

Wir hingegen durften bis ca. 6 Uhr liegen bleiben bevor wir bereit sein mussten.

 

 

 

Der Tagesablauf im Shaolinkloster

 

Meiner Erinnerung ist etwas wage, die Reise war im Jahr 2016. Es kann also sein, dass die eine oder andere Zeitangabe in Wirklichkeit etwas anders war. Ich tue mein bestes, den Tagesablauf zu rekonstruieren.

 

Zuerst war da das Morgentraining. Das dauerte, soweit ich mich noch richtig erinnere, eine Stunde und war brutal. Viel joggen (nicht gerade mein Favorit), sprinten und Treppen hochrennen. Das mich die Shaolin mit Treppen für's Leben traumatisiert haben, wirst du noch feststellen. ;)

 

Wir durften dann um ca. 7 Uhr frühstücken und Kraft tanken. Das Frühstück bestand aus einem gedämpften Brötchen, einer Art Kohl und, je nach Tag, einem gekochten Ei. Ich erinnere mich gut, wie mein Körper nach ein paar Trainingstagen mit veganer Ernährung scharf war auf dieses Ei. Aber dazu mehr später.

 

Dann gings ab zum Training Nummer zwei.

 

Wir durften wählen zwischen Wushu (Zusammenstellung von akrobatischen Formen) oder Sandaboxen (Dem Kickboxen und Muay Thai ähnlicher Sport). Ich war immer in der Sanda-Gruppe. Auch Krafttraining und viel Dehnen fand in diesen Stunden statt.

 

Um 12:00 Uhr gab's endlich zu Mittag. Ich war doch immer sehr hungrig, denn die Shaolin wissen, wie man im Training alles gibt und auch alles abverlangt. Im Kloster wurde offiziell nur vegan gegessen.

(Das Frühstück wurde ausserhalb des Klosters zu uns genommen, deshalb wohl das Ei).

 

Danach gab's eine ca. zweistündige Pause, die wir meist verschliefen.

Europäische Menschen sind chinesische Trainingsdrills nicht gewohnt und wir waren meist ziemlich erledigt. Um ca. 15:00 ging es dann wieder los mit der nächsten Trainingssession.

 

 

 

Bambusstöcke und Menschen-Squats

 

Ich möchte dir einige goldene Momente näher bringen, die mich noch heute zum Schmunzeln bringen:

 

Ich bin ziemlich stark. Aber da war der Moment nach stundenlangem Training, wo ich einfach nicht mehr "Garette" (Schubkarre für euch in Deutschland und Österreich) spielen konnte. Es gibt dir schon eine spezielle Form der Motivation, wenn ein Bambusstock neben dir auf dem Boden aufschlägt und ein Shaolin dich auf chinesisch anschreit.

 

Wir durften auch mal als Squatgewicht für unseren Trainingsbuddy herhalten oder, unseren Trainingsbuddy als Squatgewicht nutzen. Also Buddy auf die Schulter aufsteigen lassen und los geht's mit den Squats. Direkt über dem Betonboden (Mann war ich froh, noch eine andere Frau in der Gruppe zu haben!).

 

Treppen.

Treppen sind Monster.

 

Ich wusste bereits aus unseren Shaolin Trainings in der Schweiz wie es war, wenn wir Treppen hochrennen und auf allen vieren wieder herunterkriechen mussten. Oder im Squat hochspringen. Oder hochsprinten. Die Shaolin haben eine unglaublich bewundernswerte Treppen-Fantasie. Da kann ich mir als Personal Trainerin eine Scheibe abschneiden.

 

Aber was du über China wissen musst: Die Treppen in der Provinz Henan, wo das Shaolinkloster ist, sind nicht alle gleich hoch. Eine Stufe kann leicht 5cm grösser sein als die Nächste. Das macht irgendwie alles schwieriger. Du musst ständig aufpassen und neu kalkulieren.

 

Ein weiterer Grund, wieso ich ein Treppen-Trauma habe war der Tag, an dem wir eine "leichte" Wanderung machten. Als wir die Shaolin fragten, wie schwer die Wanderung sein würde (weil unsere Beine ziemlich übersäuert waren an dem Punkt) machte der Shaolin eine leichte Wellenbewegung mit der Hand. Es würde eine "leichte" Wanderung werden.

Nur leider dauerte diese 2.5 Stunden und GING NUR ÜBER TREPPEN. Keine Wanderwege wie in der Schweiz. Nur Treppen. Hoch, runter. Hoch, runter. Jede Stufe auf einer anderen Höhe. Unsere Beine glühten. Die Aussicht aber war grossartig.

 

Beim Dehnen wurde dir gerne mal geholfen. Und du denkst jetzt vielleicht "Easy, das macht mein Trainer auch immer mit mir". Aber, glaube mir, niemand treibt es so weit wie die Shaolin. Wenn du im Spagat stehst und sie dir den Fuss noch weiter weg setzen und du glaubst, dass deine Sehnen bald reissen, geht noch mehr. Du glaubst vielleicht nicht daran. Aber sie beweisen es dir.

 

Die Shaolin geben viel auf Respekt. Sie respektieren aber auch ihre Schüler*innen und überbrückten die kulturellen Differenzen zwischen den extrem disziplinierten Chinesen und dem chaotischen Haufen aus der Schweiz mit einem Verständnis, das nicht selbstverständlich ist.

 

Sie haben uns die Türen zum Shaolin Tempel geöffnet und liessen und Teil an ihrer Kultur und ihrem Alltag haben. Wir durften sogar an einer buddhistischen Zeremonie teilnehmen, was eine grosse Ehre ist.

 

 

 

Erwartung vs. Realität: Eine Kritische Sicht auf die Welt der Shaolin

 

Ich erwähne viel, dass das Training hart war für uns. Das entspricht der Wahrheit. In Europa sieht man es selten und aus der Kampfkunst kannte ich diese Art des harten Trainings nicht. Eher noch aus dem Kampfsport. Doch selbst da wissen die Trainer, dass Pausen und Regeneration extrem wichtige Elemente sind.

 

Die Welt der Shaolin und das Klassenzimmer, in dem ich als Personal Trainerin Trainingslehre gelernt habe sind so weit auseinander wie zwei Paralleluniversen. Aus Trainerinnensicht finde ich, dass einige der Umsetzungen sogar unnötig gefährlich waren. Nicht nur wegen möglichen (unnötigen) Unfällen und Verletzungen, sondern auch aus Sicht des Themas Übertraining.

 

Die Wahrheit aber ist, dass in China eine andere Mentalität herrscht. Stärke, so schient es, entsteht da mit Härte. Leider bleiben meiner Meinung nach dabei aber viele auf der Strecke oder sind in jungen Jahren körperlich am Ende.

 

Ich habe erwähnt, dass für mich die Shaolin immer etwas mystisches ausstrahlten. Das liegt sicher an den Legenden und natürlich auch an den Filmen, mit denen ich aufgewachsen bin. Nachdem ich eine Woche bei den Shaolin war, sah ich sie in einem anderen Licht. Sie sind halt auch Menschen. Sie scrollen häufig auf dem Handy, sie kaufen haufenweise Schweizer Uhren ein (ich bin nicht sicher, wieso) und sie haben ihre Unvollkommenheiten, wie wir ja auch. Nur, dass es nicht immer leicht ist, diese mit ihren Lehres des Buddhismus unter einen Hut zu bringen.

 

Einer der Shaolin, der uns auf der Wanderung begleitete zum Beispiel warf seinen Plastikteller nach dem Essen einfach in den Wald. China ist nicht die Schweiz und ich will diesen Menschen nichts abverlangen, was ihnen ihre Kultur vielleicht nicht beigebracht hat. Für mich war das aber ein Moment der Ernüchterung. Nicht alles ist, wie es auf den ersten Blick scheint.

 

 

Was ich von den Shaolin gelernt habe

 

Trotz allem habe ich bis heute wichtige Lektionen von den Shaolin gelernt. Und zwar nicht nur, dass man Squats machen kann mit einer Kollegin auf den Schultern.

 

Ich habe gelernt, innezuhalten.

Ich glaube, das Tool der Meditation ist eines der grössten Geschenke, welches ich aus meiner Zeit mit den Shaolin und meiner Kung Fu Schule mitgenommen habe. Auch eine Teezeremonie, bei der der Tee mit viel Geduld zig-mal aufgegossen wird, kann zu einem entschleunigenden Erlebnis werden. Man zelebriert den Tee, das Zusammensein.

 

Ich habe gelernt, auszuhalten.

Den Shaolin ist es egal, ob du noch trainieren kannst. Solange sie deine Sifu's sind, wird trainiert. Und auch wenn ich sie aus Trainingssicht teilweise ablehne, hat diese Strenge auch seinen Platz. Manchmal muss man auf die Zähne beissen und aushalten. Der Körper kann mehr leisten, als du denkst. Den Mind zu trainieren, das ist die wahre Schwierigkeit.

 

Wenige Worte können eine starke Message haben.

Die meisten Shaolin sprechen nur chinesisch. Jedenfalls die, die ich getroffen habe. Doch selbst dann, wenn wir uns nicht wirklich unterhalten konnten, konnten wir kommunizieren. Ich schätze auch sehr, dass sie hier keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern machten. Ich kann mir vorstellen, dass das für sie eine Umstellung ist. Meist wurde wenig gesagt, aber mit einer klaren Botschaft.

 

 

 

Alles in Allem würde ich diese Erfahrung um nichts in der Welt missen wollen und bin zutiefst dankbar, die Welt derr Shaolin mehr als einmal erfahren haben zu dürfen. Dieser Blogartikel ist bewusst kurz gefasst, ich hoffe dennoch ich konnte dir die Essenz dessen, was wir erlebt haben näherbringen.

 

 

Diesen Blog gibt es übrigens auch zum Anhören als Podcast.

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