Picture by Jörg Schmitz / Insta: @joerg.schmitz.photography
"Nein.
Selbstbemitleiden steht heute nicht auf deiner ToDo Liste."
Jedenfalls sage ich mir das heute, an diesem Montag, nachdem ich den MRI Bericht für meine Knieverletzung erhalten habe.
Es war immerhin nur ein Roundhouse Kick.
Irgendwie nichts besonderes.
Ich habe den Kick schon X-mal gemacht.
Im selben Gym.
Auf demselben Boden.
Barfuss. Wie immer.
…und aus irgendeinem Grund hatte mein Knie beim letzten Mal keine Freude daran.
Und bevor ich schnallte, was passierte, lag ich schon jammernd vor Schmerzen am Boden.
Jetzt sitze ich hier vor dem PC. Es ist Montag, mein Personal Training "Bürotag". Und ich finde mich hin und hergerissen zwischen dem Wunsch, produktiv zu sein und dem Wunsch, mich mit YouTube Videos auf das Sofa zu verziehen und mich selbst zu bemitleiden.
Bringt es etwas, sich selber zu bemitleiden?
Siehst du, ich hatte Pläne. Nochmal in den Ring zu steigen. Am liebsten noch ein paar Mal, bevor ich 40ig bin. Ich sagte mir: "Du hast 2 Jahre Zeit. Jetzt gibst du nochmal Vollgas."
Und das tat ich.
Bis mein Körper mich ausbremste.
Und nein, ich glaube nicht an "Dein Körper hat dich halt gebremst, damit du zur Ruhe kommst." Ich glaube aber an die Folgen von Übertraining (ein grosses Problem im Kampfsport, meiner Meinung nach) oder eben auch an blosse, manchmal doofe, Zufälle.
Was auch immer es war - bringt es mir etwas, mich selber zu bemitleiden?
Hast du etwas ähnliches erlebt? Eine Verletzung erlitten, die dich einige Wochen oder Monate ins Aus katapultierte?
Selbst wenn nicht, manchmal schlägt uns das Leben mitten in die Fresse.
Und da kann Rocky noch tausendmal sagen: "It ain't about how hard you get hit, it's about how hard you can get hit and keep moving forward." - Am Ende hat man diese Phase der Selbstbemitleidung und will am liebsten einfach kurz liegenbleiben. Oder länger.
Und ich denke, dass ist richtig und wichtig. Wir wissen mittlerweile um die Notwendigkeit, Gefühle zuzulassen und anzuerkennen. Das heisst zwangsläufig, dass wir uns damit konfrontieren und dadurch einige Zeit in ein Loch fallen.
Je nach Typ auch, natürlich.
Die Frage ist, wie lange kannst du am Boden des Rings liegenbleiben, bis du abgezählt wirst und alles aus ist, verstehst du, was ich meine?
Wann du wieder aufstehen sollst
Das "wann" ist in diesem Zusammenhang sicher schwierig zu beantworten. Wichtig ist, DASS du wieder aufstehst. Deine Ziele neu definierst. Vielleicht auch mal einen Schritt zurück machst und dir überlegst, ob es Alternativen gibt. Ob es auch etwas "gutes" hat, mal diese Zeit zum Nachdenken zu haben.
Natürlich befinde ich mich in einem Stadion, wo ich mich selbst für solche Gedanken shredden könnte. Immerhin hab ich gerade keinen Bock zu kämpfen. Sondern will ich aufs Sofa sitzen und wütend sein.
Aber wenn ich ehrlich bin, wenn du ehrlich bist, wir sind Kämpfer*innen.
Wir bleiben Kämpfer*innen.
Denn das Zitat aus dem Rocky Film, das an meiner Wand hängt geht unweigerlich weiter mit "…that's how winning is done."
Sind deine Ziele jetzt Vergangenheit?
Was auch immer deine Verletzung oder Krankheit bedeutet, sie definiert dich nicht. Wer bist du, ausserhalb deines Sports?
Manchmal lohnt es sich, Ziele wieder in Angriff zu nehmen. Die ganze Energie aufzubringen, bestens zu heilen und dann los, auf dein Ziel zu.
Manchmal muss man Kompromisse machen. Vielleicht von Vollkontakt auf Semikontakt gehen oder was weiss ich. Oder zu Sparringtournaments, bei denen es nicht ganz so grob zugeht wie bei den Kämpfen. Oder was auch immer bei deinem Ziel ein Kompromiss sein könnte.
Manchmal muss man aber auch Ziele aufgeben. Oder, sagen wir, neu definieren.
Ich möchte dich (und mich) dazu ermutigen, in uns zu gehen und uns genau zu Fragen:
Was ist das Ziel?
Wieso ist das das Ziel?
Wer bin ich ausserhalb dieses Sports?
Was kann eine Alternative zu meinem Ziel darstellen?
Wofür hatte ich bisher zu wenig Zeit, wollte es aber immer schon angehen?
In meinem Fall heisst das, ich werde meine Gitarren- und Zeichenskills verbessern, den Oberkörper einer Amazone antrainieren und meine Freunde in ihren Fights sowie meine Trainingskundinnen mit noch mehr Kraft zu unterstützen beim Erreichen ihrer Ziele.
Und dann, wer weiss, wieder in den Ring.
Fight on!
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